Die Nordweststadt
10.10.2019

Der KVV – Viel gelobt und viel kritisiert

25 Jahre KVV. Das von „Nahverkehrspapst“ Dieter Ludwig auf die Schiene gebrachte „Karlsruher Modell“ hat sich rasant weiterentwickelt und ist aus der Region nicht mehr wegzudenken. 2017 nutzten bereits über 17 Millionen Fahrgäste die 250 Linien von Bussen und Bahnen im Verbundgebiet.

Wie fühlt es sich an, so ein weltweit gelobtes Unternehmen zu führen?
Es ist eine große Ehre und auch Verantwortung, dieses Werk zu sichern und zukunftsfähig weiter zu entwickeln. Wir profitieren heute sehr vom bisherigen Ausbau des Streckennetzes. Diesen wollen wir weiterführen. Neue Herausforderungen sind die Finanzierung des ÖPNV und die Vergabe der Verkehrsleistungen. Allein in den letzten fünf Jahren wurden rund 450 Millionen Euro für 142 Fahrzeuge investiert. Die Verkehrsverträge werden künftig auf eine neue Grundlage gestellt – ab 2022 sind Direktvergaben sowohl für AVG als auch VBK möglich.

Start der U-Strab ist zum Sommer-Fahrplanwechsel 2021 geplant.

Edeltraud Götze interviewte Dr. Alexander Pischon, kaufmännischer Geschäftsführer der KVV:

Auf den Punkt gebracht: Was macht das Unternehmen, für das Sie tätig sind?
Der KVV befördert 500.000 Menschen pro Tag mit Bus und Bahn umweltfreundlich durch Karlsruhe und die Region. Unsere Fahrgäste – seien es Pendler, Schüler, Ausflügler oder Touristen – kommen so weitgehend stressfrei ans Ziel.


Der KVV bietet viel und hat noch viel vor – zu viel? Was ist geplant und ist das noch zu leisten? Der KVV ist Mobilitätsmanager. Das Basisgeschäft ist daher unser Mobilitätsangebot mit Bussen und Bahnen, das muss funktionieren. Da haben wir schon viel angestoßen. Zudem arbeiten wir unter anderem
kontinuierlich an der Weiterentwicklung unserer Apps. Eine stärkere digitale Verknuüpfung von allen Verkehrsmitteln ist bis 2020 bundesweit geplant. Eine App soll mit nur einer Registrierung die Möglichkeiten für die vom Kunden geplante Route mit allen erforderlichen Verkehrsmitteln bündeln. Man kann dann zum Beispiel für seine Fahrt das „KVV.nextbike“ buchen, die Weiterfahrt mit S-Bahn oder Bus bis hin zum Anschluss an den ICE.

Die „Ticket2go“-App endet zum Ende des Jahres, was viele unserer Kunden schon bedauert haben. Das System wird aber wieder mit einem neuen E-Tarif-Modell aufgegriffen. Dieses bietet dann zum Beispiel die Möglichkeit, sich eine eigene ÖPNV-Zone für den persönlichen Bedarf zusammenzustellen. Des Weiteren ist der KVV zusammen mit dem FZI Forschungszentrum Informatik, dem KIT und weiteren Konsortialpartnern Betreiber des Testfelds „Autonomes Fahren Baden-Württemberg“. In Kürze werden wir hier einen autonomen Mini-Bus als Zubringerdienst für den Weg zur nächsten Haltestelle auf die Straße bringen. In Ettlingen testen wir zusammen mit dem Landkreis Karlsruhe ein neues On-Demand-Angebot als Ergänzung zum ÖPNV. Hierbei können sich Fahrgäste ganz individuell mit schwarzen Elektro-Taxis, die man so auch aus London kennt, zu ihrem Ziel bringen lassen. Mit dem Projekt „regiomove“ wollen wir den KVV zu einem modernen Mobilitätsverbund weiterentwickeln und verschiedene Verkehrsträger miteinander vernetzen: Bus, Bahn, Leihfahrrad oder Carsharing.

„KVV bunter als je zuvor“, so lautet der Slogan zum Jubiläum: Der Kunde sieht allerdings manchmal nur noch rot. Vom einstigen Vorzeigemodell hat sich der KVV mittlerweile stellenweise zum Sorgenkind entwickelt. Baustellen bremsen den Bahnverkehr in der Innenstadt aus, bei der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) fehlen die Fahrer, um alle Verbindungen bedienen zu können. Mangelnde
Zuverlässigkeit und mangelhafte Information bei Verspätungen und Ausfällen sind die am meisten angesprochenen Probleme. Wie kommt der KVV weg vom Negativ-Image?

Der Lokführermangel begleitet uns seit 2014. Trotzdem konnten wir im vergangenen Jahr, als viele Fahrten personalbedingt ausgefallen sind, immer noch 97,8 % der Fahrten „normal“ durchführen. Pro Tag bieten wir rund 1300 Fahrten an, davon gab es an den schlimmsten Tagen „nur“ 40 Ausfälle. Für die Betroffenen ist jeder einzelne Ausfall einer zu viel und verständlicherweise ein großes Ärgernis. Durch intensive Ausbildungsmaßnahmen konnten wir in den vergangenen vier Jahren 140 neue Triebfahrzeugführer für die AVG qualifizieren und verfügen seit Juni nun wieder über einen weitgehend ausgeglichenen Personalbestand. Verspätungen sind auch Folge von Baustellen. 15 Baustellen laufen derzeit parallel im Stadtgebiet von Karlsruhe und in unserem Streckennetz in der Region. Die Sanierungsmaßnahmen sind nötig, um das leistungsstarke Nahverkehrs-System am Laufen zu halten und eine wichtige Investition für die Zukunft. Ein Fortschritt der Mobilität soll beispielsweise auch der barrierefreie Ausbau der Haltestellen sein: Bis 2022 sollen alle Bahn-Haltestellen entlang der VBK- und AVG-Strecken umgebaut sein.
Kritik erfahren wir auch immer wieder in puncto Sauberkeit der Bahnen. Ein Thema, das auch unsere Reinigungskräfte beschäftigt. Täglich müssen rund 45 kg Müll allein aus den Bahnen der VBK entsorgt und dabei 200 bis 250 Kaugummis von Hand abgekratzt werden. Zur Verbesserung unseres ÖPNV-Angebots tragen auch Kunden-Umfragen bei, die monatlich mit verschiedenen Schwerpunkten durchgeführt werden. Das Feedback unserer Fahrgäste ist uns wichtig und für unsere Arbeit sehr hilfreich. Es werden bei weitem nicht nur Mängel angesprochen, nein, die ganze Bandbreite des ÖPNV kommt hier zur Sprache. Doch gerade auch die Beschwerden tragen dazu bei, dass wir auf Mängel besser reagieren können.

Die Politik will noch mehr Menschen zur Nutzung des ÖPNV bringen. Droht der Kollaps?
Nein, sicher nicht. Aber die Verkehrswende kann nicht von heute auf morgen umgesetzt werden, sondern wird einige Zeit benötigen und muss mit Augenmaß erfolgen. Wir wollen beispielsweise in den Ausbau von zweigleisigen Strecken und die Erweiterung der Infrastruktur investieren, um die Kapazität in den nächsten 15-20 Jahren noch steigern zu können. Dazu arbeiten wir im Team mit allen Partnern.

Kann der KVV Klimaschutz?
Unser ÖPNV ist klimafreundlich. Selbst ein nur zur Hälfte besetzter Bus ist immer noch ökologischer unterwegs als wenn diese Fahrgäste einzeln mit dem Auto unterwegs wären. Unsere Bahnen, die seit 2017 mit Ökostrom fahren, sparen so mehrere tausend Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr ein. Durch unser ÖPNV-Angebot leisten wir so einen wichtigen Beitrag für den Schutz unseres Klimas und unserer Umwelt. Sowohl die AVG als auch VBK kaufen „Grünen Strom“, um ihren Beitrag zur Umwelt zu leisten.

„Drunter und drüber“ in Karlsruhe: Die Bürger haben sich mehrheitlich für die Untertunnelung der Kaiserstraße ausgesprochen und freuen sich auf eine bahn- und omnibusfreie Flaniermeile. Pro-Bahn will weiter Bahnen oberirdisch fahren lassen, ein Shuttle wird diskutiert. Was sagt der KVV-Chef?
Der KVV hat den Auftrag, die Schienen aus der Kaiserstraße herauszunehmen, und wir werden diesen Auftrag selbstverständlich so ausführen. Hierüber gibt es keine Diskussion. Das hat Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup ja auch nochmal deutlich zum Ausdruck gebracht.
Ist im Tunnel eine Taktung wie derzeit überhaupt möglich oder müssen die Fahrgäste mit längeren Fahrzeiten rechnen? Der Stadtbahntunnel erhöht die Leistungsfähigkeit des Straßen- und Stadtbahnverkehrs. Die Planung wurde selbstverständlich wissenschaftlich begleitet und die notwendige Taktung für die Fahrzeuge im Simulationsverfahren geprüft.

Prognose zum Start der U-Strab?
Vorgesehen ist der Start zum Sommer-Fahrplanwechsel 2021.

Der KVV hat viel erreicht. Das Aufgabengebiet ist immens, die Herausforderungen groß. Dazu sind Sie permanenter Kritik aus der Bevölkerung ausgesetzt. Können Sie nachts noch gut schlafen? Macht da die Arbeit noch Spaß?
Es macht mir nach wie vor viel Spaß, diese Aufgabe zu erfüllen. Zusammen mit dem technischen Geschäftsführer Ascan Egerer und unserem Team kann ich so einen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Die Kritik am KVV berührt mich natürlich, ich sehe sie aber als Herausforderung. Denn Kritik ist für mich wichtig und Anlass, nachzuhaken und unsere Arbeit, unser ÖPNV-Angebot immer wieder zu hinterfragen. Und wir arbeiten tagtäglich daran, den Nahverkehr in der Region weiter zu verbessern. Ich kann aber durchaus noch gut schlafen. In meinem Job muss man mit Kritik und Rückschlägen umgehen können. Ein Lob, wenn etwas besonders gut funktioniert, kommt eher selten bei mir an (lacht).

Wie würden Ihre Mitarbeiter Sie beschreiben?
Zielstrebig, fokussiert auf neue Ideen, umtriebig, partizipativ. Sie kennen mich als Teamplayer und als einen, der gut zuhören kann.

Die Redaktion bedankt sich für das Interview und wünscht dem KVV gutes Gelingen bei der Bewältigung der anstehenden Aufgaben. Wir freuen uns auf den Start der U-Strab und hoffen natürlich besonders darauf, dass die derzeitigen Erschwernisse für alle Beteiligten bald überwunden sind.